Schauspiel
Ellen Babić
von Marius von Mayenburg
Schauspiel - Ellen Babic - von Marius von Mayenburg
„Ellen Babic“ ist der zweite Teil der aus den Stücken „Ex“, „Ellen Babic“ und „Egal“ bestehenden sogenannten Lockdown-Trilogie.
„Ex“, inszeniert von Marius von Mayenburg, wurde am 30.9.2021 vom Riksteater Stockholm, „Egal“ – wie „Ellen Babic“ in der Regie von Benedict Andrews – am 10.2.2023 am Isländischen Nationaltheater Reykjavik uraufgeführt.
Uraufführung: 26.12.2022, Isländisches Nationaltheater Reykjavik
Deutschsprachige Erstaufführung: 24.2.2024, Berliner Ensemble
Aufführungsrechte: Carstensen & Oegel International GmbH, Berlin
Produktion: Hamburger Kammerspiele / EURO-STUDIO Landgraf
Inhalt:
Der raffinierte Clou in dem virtuos konstruierten klassischen Konversationsstück „Ellen Babic“ ist, dass die Titelrolle, trotz ihrer zentralen Bedeutung, nie auftritt.
Die Stücke von Marius von Mayenburg sind ein Paradebeispiel für das Well-Made-Play, das durch psychologische Genauigkeit der Charaktere und treffsichere Dialoge geprägt ist. Auch seine perfekt getimten, auf eine unvermeidliche Eskalation zulaufenden Beziehungssaltos und die Balance zwischen Unterhaltung und Anspruch sind charakteristisch für das Genre, das durch Yasmina Reza berühmt wurde.
Die Englischlehrerin Astrid lebt mit ihrer deutlich jüngeren ehemaligen Schülerin Klara seit zehn Jahren zusammen. Als Astrid ihren Vorgesetzen, den Schulleiter Wolfram Balderkamp nach Hause einlädt, um eine in der Schule begonnene Unterhaltung über einen brisanten »Vorfall«, der während ihrer Klassenfahrt nach Trier stattgefunden hat, fortzusetzen, reagiert Klara – wie sich im Verlauf der Handlung leider bestätigt – mit Recht nervös: Was passiert, wenn er sich an sie als ehemalige Schülerin an seiner Schule erinnert?
Unter dem Vorwand, Astrid zu »schützen«, möchte Balderkamp den »Vorfall« lieber privat und nicht in der Schule mit ihr besprechen. Wie sich später herausstellt, sind seine Motive nicht ganz so selbstlos, wie er vorgibt. Es geht dabei um den Vorwurf der sexuellen Belästigung, den der Vater der 16-jährigen Ellen telefonisch gegen Astrid erhoben hat. Auf der Klassenfahrt soll Astrid ihre Schülerin Ellen, der nach eigener Aussage »plötzlich schwindlig« war, obwohl sie kaum etwas getrunken hatte, mit K.o.-Tropfen betäubt und unsittlich berührt haben.
Astrid widerspricht. Sie war bereits im Bett, als zwei Mädchen anklopften und sie baten, schnell mit zum Waschraum zu kommen, weil es Ellen so schlecht ging. Da Ellen in einem Hochbett schlief, brachten sie sie gemeinsam in ihr eigenes Zimmer und legten sie in ihr Bett. Dann haben sie ihr »das vollgekotzte T-Shirt« ausgezogen und ihr, nachdem sie sich noch »zwei, dreimal übergeben hatte, Wasser mit Elektrolyt eingeflößt«, sodass sie »am nächsten Morgen wackelig, aber nicht mehr krank war«.
Wird Astrid zu Unrecht des Missbrauchs einer Minderjährigen beschuldigt? Oder möchte die Schülerin ihren Vater davon überzeugen, dass ihr Absturz kein Ergebnis von Komasaufen war, sondern dass ihr Zustand durch äußere Einwirkung verursacht wurde?
Wie eine Spinne webt Balderkamp mit den mehr oder weniger versteckten Drohungen seiner Befragung ein gefährliches Netz, in dem er Astrid fangen will. Als er auch Klara, deren Beziehung zu Astrid auch während einer Klassenfahrt nach Trier begonnen hat, in seine Angriffe einbezieht, geht Astrid zu einem furiosen Gegenangriff über und wirft ihm – nun ihrerseits drohend – nicht nur seine jahrelangen, zunächst noch als »väterliche Fürsorge« getarnten sexuell konnotierten Bemerkungen vor, sondern auch seine aufdringlichen »zufälligen Berührungen«, die sie, wie sie behauptet, penibel in einem Heft notiert hat.
Marius von Mayenburg meistert in seinem Psychokrimi die Herausforderung, die vielen Aspekte und unvorhersehbaren Wendungen des toxischen Konflikts geschickt im Gleichgewicht zu halten. Unvergesslich wird das Stück durch die Kunstfertigkeit der Dialoge und die Fähigkeit, individualisierte Charaktere ins Allgemeingültige zu erheben.
Ellen Babic ist als Schlüsselfigur sowohl ein Symbol für berufliche und private Abhängigkeit als auch dafür, wie Macht ausgeübt und missbraucht wird.
Originalbeitrag von Birgit Landgraf
Pressestimmen
Wer macht sich hier schuldig?
An den Kammerspielen gelingt Sewan Latchinian eine spannungsgeladene Inszenierung. Das ist bei einem Stück in Echtzeit, dessen treibende Kraft allein die Dialoge sind, eine spezielle Herausforderung. (…) Till Demtrøder überzeugt mit seinem jovialen Chef-Gehabe, redet und trinkt sich in Rage. Astrids Zerrissenheit zwischen Loyalität und Liebe macht Katja Studt berührend deutlich, während Nachwuchsschauspielerin Marie Fey ein großartiges Debüt als ebenso verletzliche wie kampflustige Klara gelingt. Gebannt folgt das Publikum den Wortgefechten zwischen Übergriffigkeit und blankem Machtmissbrauch.
HAMBURG Dagmar Ellen Fischer, Szene Hamburg, 31.5.2025
Machtspiele, Missbrauch, Lebenslügen
Was das neue Stück den Hamburger TV-Stars Besonderes abverlangt
Was Wahrheit ist und was Erfindung, ist gar nicht so ersichtlich und bleibt letztlich im Dunkeln – eine enorme Qualität des Stücks. Es verlangt ein Schauspieltrio, das sich auf die feinen Zwischentöne dieses Konversationsstücks einlässt. Und das ist in der Inszenierung des Künstlerischen Leiters Sewan Latchinian an den Hamburger Kammerspielen ziemlich gut gelungen. (…) Sehenswert!
HAMBURG Annette Stiekele, Hamburger Abendblatt, 14.5.2025
Paare auf dem Prüfstand
Wie «Egal» ist auch «Ellen Babic» ein gut gebautes Stück. Der Unterschied ist, dass die Figuren hier unplausibel sind, sich die Konstruktion selbst genügt. Ist Astrid tatsächlich eine Täterin? Will Wolfram sie nur erpressen? Oder lügen beide?
WIEN Wolfgang Kralicek, Theater heute 4/2025, 28.3.2025
Dass von Mayenburg ein Talent fürs Kammerspiel hat, bewies er bereits mit „Ellen Babic“, einem klugen Stück über eine lesbische Lehrerin unter Missbrauchsverdacht.
BERLIN Jakob Hayner, Die Welt, 19.3.2025
Zur Deutschsprachigen Erstaufführung am Berliner Ensemble:
Mayenburg hat (…) ein Kammerspiel vorgelegt, das vielschichtige Figuren entwirft und in ungeheuer schnellen, lebensechten Dialogen Spannung erzeugt wie im Krimi.
BERLIN Barbara Behrendt, rbb24, 25.2.2024
Vor allem das Ungesagte zählt
Das Großartige an diesem Abend ist, dass er den Zuschauer mit vielfältigen Ungewissheiten konfrontiert und ihm Raum für eigene Schlussfolgerungen lässt.
BERLIN Volker Blech, Berliner Morgenpost, 26.2.2024
MeToo mal ganz anders
Endlich mal wieder ein richtiges Konversationsstück. Ein Theaterabend, der seine ganze Spannung aus den Dialogen heraus entwickelt. Aus der Konstellation unterschiedlicher Personen und einem moralischen Problem, das zwischen ihnen erörtert wird. (…) Trotz der leicht zeitgeistigen Schlusswendung gelingt es dem Stück, die Spannung zu halten. Das liegt daran, dass hier nicht eine politische Haltung dargestellt, sondern ein gesellschaftliches Thema umspielt wird, bei dem Gerechtigkeit und Verleumdung oft nah beieinander liegen. Ein bisschen fühlt man sich wie bei einem gelungenen Abend am Londoner Broadway. Hervorragende Schauspieler, bissige Dialoge und ein delikater Fall, über den man sich noch angeregt zwei Dinner-Stunden lang unterhalten kann.
BERLIN Simon Strauss, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.2.2024
Ein Beziehungsthriller von großer psychologischer Genauigkeit. (…) Marius von Mayenburgs Text zeigt, wie schillernd und vielschichtig Personen- und Konfliktzeichnung im Theater sein können.
BERLIN Peter Laudenbach, Süddeutsche Zeitung, 27.2.2024
Wer das Genre des psychorealistischen Kammerspiels mag und zudem Freude an den gar nicht so häufigen Theaterabenden hat, bei denen am Ende nicht alles so ist, wie es bereits in der ersten Minute schien, ist bei „Ellen Babic“ gut aufgehoben.
BERLIN Christine Wahl, Tagesspiegel, 26.2.2024
Der Abend könnte zum Publikumsrenner werden
„Ellen Babic“ ist ein abgründiges Kammerspiel, in dem es keine Engel und keine Teufel gibt, sondern nur Menschen mit ihren Widersprüchen. Das suspendiert keineswegs die Frage der Schuld, sondern macht sie überhaupt erst so spannend wie ein Thriller, weil jede Vorverurteilung unterlaufen wird. Es sind keine plumpen Abziehbilder von „Strukturen“, die hier aufeinandertreffen, sondern Figuren mit Begehren, Sprache und Vorurteilen.
BERLIN Jakob Hayner, Die Welt, 29.2.2024
Wer das Genre des psychorealistischen Kammerspiels mag und zudem Freude an den gar nicht so häufigen Theaterabenden hat, bei denen am Ende nicht alles so ist, wie es bereits in der ersten Minute schien, ist bei „Ellen Babic" gut aufgehoben.
BERLIN Christine Wahl, Tagesspiegel, 26.2.2024
Zur Aufführung in Stockholm:
Ein nuancenreiches und fesselndes Schauspiel mit Bedrohungen, Verführungen, Komik, Rätseln und großartiger Unterhaltung.
STOCKHOLM Sara Granath, Svenska Dagbladed, 26.1.2024
Biografien:
Katja Studt
Katja Studt wurde 1973 in Hamburg geboren. Ihre erste Filmrolle erhielt sie bereits im Teenageralter, als sie in Dieter Wedels „Wilder Westen inklusive“ zu sehen war. 1989 stand sie an der Seite von Jürgen Vogel in Hans W. Geißendörfers „Bumerang – Bumerang“ vor der Kamera. Große Bekanntheit erreichte sie zudem mit der ZDF-Weihnachtsserie „Clara“. Für ihre Darstellung in Tom Tykwers Spielfilm „Die tödliche Maria“ wurde sie auf dem Max-Ophüls-Festival 1993 mit dem Schauspielernachwuchspreis ausgezeichnet. 1995 stand sie im prominent besetzen Thriller „Kinder des Satans“ (Regie: Bernd Schadewald) mit Nicolette Krebitz und Moritz Bleibtreu vor der Kamera. Ihre erste internationale Kinorolle erhielt Katja Studt 1999 in István Szabós Historienfilm „Sunshine – Ein Hauch von Sonnenschein“ mit Ralph Fiennes. Das Krimidrama „Mörderinnen“ (Regie: Pepe Danquart) brachte ihr 2001 eine Nominierung für den Deutschen Fernsehpreis als „Beste Schauspielerin“ ein. Es folgten Kinofilme wie Sandra Nettelbecks „Bella Martha“ und Rolf Schübels „Blueprint“ sowie zahlreiche Hauptrollen in Fernsehfilmen und Mehrteilern wie z. B. „Der weiße Afrikaner“ (Regie: Martin Enlen), „Der Liebe entgegen“ (Regie: Martin Enlen), „Nur mit euch“ (Regie: Udo Witte), „Die Frau im roten Kleid“(Regie: Thomas Jacob), „Die Schäferin“ (Regie: Dagmar Damek), „Leberkäseland“ (Regie: Nils Willbrandt), „Lügen haben schöne Beine“ (Regie: Thomas Kronthaler) oder „Über den Tag hinaus“ (Regie: Martin Enlen), der 2015 beim Filmfest Ludwigshafen mit dem Publikumspreis ausgezeichnet und im selben Jahr erfolgreich als ARD-Mittwochsfilm ausgestrahlt wurde. Weitere Kinofilme, in denen Katja Studt mitspielte, waren „Ausgerechnet Sylt“ (Regie: Susanna Salonen), Fatih Akins „Der goldene Handschuh“ und Aron Lehmanns „Was man von hier aus sehen kann“. Des Weiteren sah man sie in diversen Fernsehproduktionen wie z. B. „Endlich Witwer – Über alle Berge“ (Regie: Martin Enlen), „Friesland – Artenvielfalt“ (Regie: Kerstin Ahlrichs) und „Die Luft, die wir atmen“ (Regie: Martin Enlen).
Aktuelle Produktion: „Ellen Babic“
TILL DEMTRØDER
Der Publikumsliebling ist Till Demtrøder ist ein vielbeschäftigter Schauspieler im deutschen Fernsehen – und das seit über 35 Jahren. Ob als Zivilfahnder im beliebten „Großstadtrevier“ (ARD), als smarter Familienvater in der ARD-Kultserie „Verbotene Liebe“, als Rechtsanwalt im „Landarzt“ (ZDF) oder in Serien wie „Hallo Robbie“, „Blankenese“ sowie in diversen TV-Spielfilmen…
Marius von Mayenburg
Schon mit seinem ersten Theaterstück „Feuergesicht“, das wie die meisten seiner anderen Werke in mehr als 30 Sprachen – unter anderem ins Litauische und Westflämische -übersetzt und weltweit inszeniert wird, katapultiert sich Marius von Mayenburg an die Spitze der deutschen Dramatik. 1997 wird er nicht nur mit dem Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker geehrt, sondern auch mit dem Preis der Frankfurter Autorenstiftung. 1998 wird „Feuergesicht“ zum Stückmarkt der Berliner Festspiele eingeladen, und 1999 wählen ihn die Kritiker der Zeitschrift ,Theater heute‘ zum Nachwuchsautor des Jahres.
In seinen inzwischen 21 zum Teil weltweit aufgeführten und mehrfach ausgezeichneten politisch zeitaktuellen wie gesellschaftlich relevanten Stücken (Stand: Mai 2024) zeigt sich Mayenburg als ein Beobachter, der niemals nur an der Oberfläche bleibt.
In den präzisen, für ein breites Publikum geschriebenen Dialogen, setzt er sich – niemals nur oberflächlich – mit der Komplexität gesellschaftlicher Normen sowie familiären und anderen menschlichen Beziehungen auseinander. Die Art, wie er traditionelle Machtverhältnisse hinterfragt und Autoritäten in Frage stellt, beschäftigt, die Theaterbesucher oft noch tagelang und regt sie zum Weiterdenken an.
Der 1972 in München, geborene Autor, Regisseur, Übersetzer klassischer und zeitgenössische Theaterstücke studiert zunächst Mediävistik in München und von 1994bis 1998 Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin.
1998 beginnt an der Baracke am Deutschen Theater Berlin die Zusammenarbeit mit deren künstlerischem Leiter und Regisseur, Thomas Ostermeier. Diese Zusammenarbeit wird ab Herbst 1999 an der Schaubühne fortgesetzt, als Ostermeier dort Mitglied der Künstlerischen Leitung wird. Dort ist er, bis er das Theater im Frühjahr 2024 als festes Ensemblemitglied verlässt, nicht nur als Dramaturg, sondern auch als Hausautor und Regisseur der Uraufführungen seiner eigenen Stücke wie „Perplex“, „Märtyrer“, „Plastik“, „Peng“ und „Nachtland“ tätig, sondern inszeniert auch Stücke anderer in- und ausländischer klassischer sowie zeitgenössischer Autoren.
Als Regisseur arbeitet Marius von Mayenburg in Deutschland nicht nur an der Schaubühne, sondern auch in Städten wie München, Frankfurt, Düsseldorf und Bochum. Inzwischen hat er sich auch international einen hervorragenden Ruf erarbeitet.
Über seine Inszenierung von „Ellen Babic“, die am 25. Januar 2024 am Riksteater Stockholm Premiere hatte, berichtete Sara Granath im Svenska Dagbladet am 26. Januar2024: »ELLEN BABIC – EINE SPANNENDE KOMÖDIE. Ein nuancenreiches und fesselndes Schauspiel mit Bedrohungen, Verführungen, Komik, Rätseln und großartiger Unterhaltung«. Nach der Aufführungsserie wurde das Stück auf einer Tournee gezeigt.
2021 hatte er dort auch schon „EX“, den 1. Teil der aus den Stücken „EX“, „Ellen Babic „EGAL“ bestehenden sogenannten ‚Lockdown-Trilogie‘, inszeniert.
„EX“ wird er im Januar 2025 an der Berliner Schaubühne als deutschsprachige Erstaufführung realisieren.
Originalbeitrag von Birgit Landgraf
Aktuelle Produktion: „Ellen Babic“



